Die Region umfasst ein urzeitliches Ökosystem aus Bergen und üppigen grünen Wäldern mit einer einzigartigen und unberührten Flora und Fauna. Die Gebirgskette bildet einen Bogen durch Mittel- und Osteuropa, der sich von der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polen, Ungarn bis zur Ukraine, großen Teilen Rumäniens und Serbiens im Süden erstreckt.
Die Region bietet Lebensraum für die größten europäischen Populationen von Braunbären, Wölfen, Luchsen und anderen Tierarten und beherbergt weit mehr als ein Drittel aller europäischen Pflanzen. Die Region ist auch eine lebenserhaltende Wasserquelle: Überall in den Bergen finden sich entlang ihrer steilen Hänge viele Thermal- und Mineralwasserquellen. Die Karpatenregion ist eine wichtige ökologische, wirtschaftliche, kulturelle und touristische Region im Zentrum Europas, die von vielen Völkern und Ländern geteilt wird.
Als „Lunge Europas“ für den gesamten europäischen Kontinent unverzichtbar, weist das Berg- und Waldökosystem der Karpaten besonders wertvolle Urwaldgebiete auf, die zum UNESCOWelterbe gehören. So beherbergt Rumänien nach Russland die zweitgrößte Fläche an Urwäldern in Europa. Die Karpaten und ihre unberührten Wälder sind jedoch durch Abholzung und illegalen Holzeinschlag bedroht. In vielen Ländern der postsowjetischen Ära ist der Rechtsstaat schwach und Regierungen und Unternehmen, aber auch Einzelpersonen, nutzen den Mangel an strengen Kontrollen und Schutzbemühungen aus. Obwohl große Teile der Karpaten zum UNESCO-Weltnaturerbe gehören, leidet die Region unter dem Klimawandel, illegaler Wilderei, umweltschädlichen kommerziellen Projekten und dem Fehlen von Abfallmanagementsystemen.
Angesichts der geographischen Ausdehnung der Region über sieben verschiedene Länder stellt der Schutz dieses komplexen Ökosystems eine besondere Herausforderung dar. Es erfordert Schutzmaßnahmen, die sowohl gemeinsam koordinierte, regionale Ziele, als auch lokale Besonderheiten berücksichtigt. Eine weitere Herausforderung ist die Tatsache, dass die lokalen Kommunen, insbesondere in den ehemaligen Sowjetstaaten, traditionell an die Ausbeutung der Wälder gewöhnt sind und nur vage Vorstellungen von Naturschutz haben. Um die einzigartigen Wälder der Region zu erhalten, müssen die lokalen Gemeinden geschult werden, um die Auswirkungen ihres Verhaltens besser zu verstehen. Zudem müssen ihnen praktische Beispiele gezeigt werden, um die eigene nachhaltige Entwicklung zu fördern und die einzigartige Flora und Fauna zu erhalten.
In den geschützten Urwäldern Rumäniens und der Ukraine arbeitet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) mit lokalen Organisationen zusammen, um die Bildung der Bevölkerung vor Ort zu fördern. Der Schwerpunkt der Naturschutzbemühungen liegt auf der Einbeziehung und Ausbildung der jungen Bevölkerung, um sie zu Botschaftern für den Schutz dieser empfindlichen Ökosysteme zu machen.
Seit Oktober 2020 unterstützt die VGP Stiftung die Naturschutzbemühungen des NABU in der Region. Priorität bei diesem Projekt hat die systematische Arbeit mit Jugendlichen aus Siedlungen in den Unterkarpaten. Dadurch soll das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für den Schutz der Artenvielfalt und der unberührten Waldökosysteme erhöht werden. Letztendlich ist es das Ziel, verantwortungsvolle Erwachsene im Interesse und mit Interesse am Naturschutz innerhalb der Karpatenregion heranzuziehen.
Ein wichtiger Bestandteil des Bildungsprogramms ist, dass Kinder und Jugendliche nicht nur Zugang zu theoretischem Wissen über Umweltschutz haben, sondern auch in praktische Aktivitäten im Umgang mit der Natur eingebunden werden. Dies gibt ihnen ein Gefühl der Verantwortung und ein besseres Verständnis für ihre Rolle und ihren Einfl uss auf die Umwelt. Um die Wirkung des NABU Jugendschulprojekts zu maximieren, kooperieren die VGP Stiftung und die Projektpartner auch mit lokalen NGOs, Experten, Lehrern und Religionsgemeinschaften. Die Kirchen in der Region sind bei Gläubigen und der säkularen Bevölkerung gleichermaßen hoch angesehen und dienen als starke und einfl ussreiche lokale Multiplikatoren. Zusätzlich bieten die Kirchen Aktivitäten zur Umsetzung von Umweltthemen für Sonntagsschulen auf Gemeinde- und Ortsebene an. Das Projekt nutzt dieses Kooperationsnetzwerk, in dem lokale und religiöse Gemeinschaften mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und Umweltaktivisten kooperieren, um gemeinsame Umweltziele zu erreichen.
Bis heute wurden mehrere Initiativen und kleinere Projekte gestartet und abgeschlossen. In Rumänien entwickelten Schulkinder eine dreidimensionale Karte der umliegenden Wälder, um mehr über die lokalen Gebiete zu erfahren und als Teil einer breiteren Bildungsreihe verwandte Wahrzeichen zu identifizieren. Die Kinder nahmen auch an einem Wettbewerb zwischen den Klassen einer örtlichen Schule teil, wobei der Preis eine Exkursion in den Sinca Veche Urwald war. Weitere Kampagnen- und Bildungsmaterialien wurden entwickelt, darunter Poster und ökologisch produzierte Kalender in Zusammenarbeit mit den örtlichen Kirchen.
Um die Wirkung des NABU Jugendschulprojekts zu maximieren, kooperieren die VGP Stiftung und die Projekt partner auch mit lokalen NGOs, Experten, Lehrern und Religionsgemeinschaften.
In der Ukraine wurden thematische Sitzungen entwickelt, um kritisches Denken bei der Suche nach Umweltlösungen zu fördern. Es wurden Vorträge für Kinder über Wald- und Wasservögel abgehalten, in denen die neugierige Jugend Neues über die Welt der Vögel lernen konnte. Zudem wurde den Jugendlichen vermittelt, wie der Winter das Leben der Tiere in den Wäldern beeinflußt. Es wurde auch ein ökologisches Märchen über die Artenvielfalt der Fledermäuse für Kinder entwickelt. Der Schutz von Fledermäusen, die in den umliegenden Wäldern leben, ist immer wichtiger geworden, nicht zuletzt weil die Covid-19-Pandemie Gerüchte und Vorurteile über Fledermäuse als mögliche Wirtstiere des Coronavirus aufkommen ließ. Neben dem Ziel der VGP Stiftung, den Naturschutz zu unterstützen, liegt ein weiterer Schwerpunkt der Stiftung auf dem Schutz des kulturellen Erbes: In den ukrainischen Karpaten steht eine Gruppe von orthodoxen, ostkatholischen Holzkirchen – sogenannte „Tserkvas“ –, die in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurden. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert aus Holzstämmen erbaut, zeugen die Kirchen von einer ausgeprägten Bautradition, die in der orthodoxen Bauweise und der lokalen Tradition verwurzelt ist. Diese Holzkirchen sind ein integraler Bestandteil der Naturlandschaften in den Karpaten. Sie ermöglichten den Kindern, über den Schutz der einzigartigen Natur, die die Kirchen umgibt, sowie über den Schutz des einzigartigen kulturellen Erbes zu sprechen.
Angesichts der ethnischen Vielfalt und des reichen kulturellen Erbes der Bewohner der Karpaten wird bei den Projekten darauf geachtet, dass die lokalen Traditionen und Besonderheiten dieser multikulturellen Gruppen berücksichtigt und einbezogen werden. Es sind Veranstaltungen mit verschiedenen ethnischen Gruppen geplant: Ungarn, Slowaken, Roma und Donauschwaben. Die Einbeziehung von Kindern verschiedener ethnischer Gruppen und Kulturen in die Jugendschulklassen betont den universellen Charakter von Umweltwerten und trägt zum sozialen Zusammenhalt der lokalen Bevölkerung bei. So wurde beispielsweise im ukrainischen Dorf Ivanivtsi mit Jugendlichen aus der örtlichen Roma-Gemeinde eine Kampagne zum verantwortungsvollen Umgang mit Abfall organisiert.
In Zukunft könnten die Jugendschulprojekte internationaler werden und noch umfassendere Bildungsaktivitäten für die Einwohner in der gesamten Region. Dabei soll das während der laufenden Projekte erlernte und entwickelte Wissen genutzt werden. Ermutigend ist, dass die Bischöfe der griechisch-katholischen und der römisch-katholischen Kirche der Ukraine und Ungarns die Gründung eines interkonfessionellen Rates zum Schutz der Karpaten initiiert haben. Die Gründung des Rates zeigt, dass die Kirchen gemeinsam mit NGOs und Umweltexperten zum Schutz der Umwelt in ihren lokalen und regionalen Gemeinschaften beitragen können und wollen. Dank dieser neuen Begeisterung für den Schutz eines der unberührtesten Wald- und Bergregionen Europas wird in den Karpaten eine neue Generation von Umweltbotschaftern ausgebildet, die für den Schutz des empfindlichen Ökosystems und den Erhalt einer einzigartigen Wildnis kämpfen wird.
Von alten Eichen, Fledermaus-Guano und Naturseife
Um Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen Menschen und die Natur koexistieren.
Um Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen Menschen und die Natur miteinander im Einklang sein. Kinder (und auch einige Erwachsene) in der westukrainischen Provinz Transkarpatien lernen dies auf sehr praktische Weise. Die Glockentürmen der alten Holzkirchen der Gemeinden in der Region beherbegen nämlich häufig Fledermauskolonien. Da diese die uralten Kirchen jahrzehntelang bewohnt haben, hat sich in einigen der Gebäuden eine große Menge an Fledermauskot angesammelt. Im Interesse der lokalen Gemeinde, aber auch der Fledermäuse, helfen die Jugendlichen vor Ort dabei, einige dieser Kirchen vom „Fledermaus-Guano“ zu befreien. Sie bauen auch Fledermaushäuser, die den fliegenden Säugetieren ein alternatives Zuhause bieten können, und natürlich lernen die jungen Leute auch etwas über die Bedeutung dieser manchmal geschmähten Lebewesen. Die Fledermaus-Initiative ist nur eine von zahlreichen Aktivitäten im Rahmen des Projekts „Karpaten-Jugendschule für nachhaltige Entwicklung“, das vom Institut für Umwelt- und Religionswissenschaften (IERS, mit Sitz in Uschgorod, Ukraine) in Partnerschaft mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) und mit finanzieller Unterstützung der VGP Stiftung durchgeführt wird.
Installation von Fledermauskästen, die von Jugendlichen aus der Gegend gebaut wurden
Das Projekt in den ukrainischen Karpaten ermutigt Jugendliche auch dazu, Projekte zu entwickeln, um gemeinsam Umweltprobleme auf lokaler Ebene zu lösen. Im Herbst 2020 organisierte ein Team von IERS zum Beispiel einen Informationstag im Dorf Kraynikovo, um gemeinsam zu überlegen, wie die alten Eichen der Gemeinde erhalten werden können. Aufbauend auf den Ideen der Anwohner formulierten die Teilnehmer 10 Vorschläge zur Rettung der Eichen. Einige dieser alten Bäume stehen gefährlich nahe an der hölzernen St.-Michael-Kirche des Dorfes aus dem 17. Jahrhundert. Im Mai 2021 begann ein Team von professionellen Baumpflegern mit der Arbeit zur Stabilisierung und Erhaltung der Bäume.
Ebenfalls im Mai veranstaltete IERS einen Workshop im Dorf Mala Roztoka, bei dem Kinder Seifen herstellten, die mit Zutaten aus der Natur beduftet und gefärbt wurde. „Heute werdet ihr eine Seife herstellen, die nicht nur gut für den Körper, sondern auch gut für die Umwelt ist“, erklärte Mykhailo Bilanych, Biologe und Organisator von ökologischen Bildungsprogrammen bei IERS, den Kindern, bevor er sich an die Arbeit machte. „Alle Zutaten wurden uns von der Natur gegeben, aber es lohnt sich, daran zu denken, dass wir sie bewahren müssen, wenn wir weiterhin solche Geschenke erhalten wollen.“